AIRBAG - Neunkirchen

12 airbag neunkirchen 01Konzert vom 04.12.2025

Support: LESOIR

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AIRBAG
LESOIR

Keine so große Karriere bei großer Musik hatte ich den Norwegern bei ihrem Debüt vorhergesagt. Unrecht sollte ich nicht behalten, AIRBAG sind nach sechs Platten immer noch Geheimtipp. Ob es am immer weniger konstanten Line-Up liegt oder daran, dass die Soloaktivitäten von Mastermind Björn Riis eine konsistente Fortführung verhindern, sei mal dahingestellt. Sehr schade, wenn man sieht von welcher Qualität die Alben sind, im New Art Rock sicher die Traumwandler schlechthin. Aber live ist man wenig aktiv, diese Europatournee ist auch recht kurz, dabei soll das Livealbum „Dysphoria“ beworben werden. Dafür wird dem eher selten aufgesuchten saarländischen Neunkirchen ein Besuch abgestattet, und mit LESOIR noch ein heißes Eisen im Gepäck verstaut.

LESOIR
Die hatten es sehr kuschelig auf der Bühne, denn die Niederländer treten neuerdings zu sechst auf, Bassist Ingo Jetten reichte sein Langholz weiter und übernahm die Halbakustische und Lap Steel. Angesichts des Instrumentenoverkills kein Wunder, dass Bewegung sehr schwer möglich war. Sängerin Maartje Meessen musste sich durchmogeln, wenn sie von der Frontposition nach rechts an ihren Korg-Synthesizer wollte, ihre Flöte bewahrte sie mal hier, mal dort auf. Kollegin Eleen Bartholomeus hatte ein Midi-Synth vor sich stehen, wechselte darüber hinaus von elektrischer zu akustischer Gitarre. Da war klar, welch vielschichtige Sounds die Zuschauer erwarten konnten, wobei das Stageacting eher in Shoegaze-Dimensionen zu verorten war, aber bei solch Klangzauberei braucht es das nicht.

Jetten schwang öfter seine Hüften hin und her, weil einfach kein Raum war, was schon witzig anzuschauen war. Sein Platzhalter an den vier Saiten hatte neben dem Drumkit etwas mehr Auslauf und wog fortwährend hin und her. Für die Vokaleinsätze musste er zudem immer auf den Punkt da sein, auch stimmlich setzte man auf Harmonien, was den Wohlklang noch verstärkte. Alles wurde immer noch punktuell eingestreut, nur selten erhob sich ein Instrument aus dem dichten Gemenge, wie beim Flötensolo von Meessen in „Dystopia“. Jenes absolvierte die Frontdame in der angedachten Rolle, wo sie ihren emotionalen Gesang mit vielen theatralischen Gesten zu unterlegen wusste. Optisch war sie ohnehin auffällig, hätte in jede Cocktail-Party gepasst, dem ansprechenden Bild folgte die gesamte Band.

Vom Tempo her war das meist gemäßigt, der Opener „Mosaic“ erschien mir ein wenig zu sanft gewählt, möglicherweise wollte sich das Ensemble tatsächlich in die Gehörgänge der Anwesenden schleichen. Einzig Bob van Heumen forcierte streckenweise am Schlagzeug, wobei er die Grundstimmung mit seinen jazzigen Breaks nie komplett durchbrach. Diese rollten wunderbar nach rechts raus und bewiesen einen lockeren Swing, der sich klasse in die musikalischen Welten integrierte. Im Mix war er recht präsent, ebenso die Stimmen, was am Ende zu Lasten von Gitarrist Ingo Dassen ging. Seine Leads konnten nicht die volle Wirkung entfalten, trugen die Kompositionen nicht so wie auf Platte. Vielleicht fielen die Verschärfungen deswegen eher zurückhaltend aus, da vom Riffing keine treibende Kraft ausging.

Etwas schade, da vieles herrlich arrangiert war, teilweise so clever, dass die einzelnen Bandmitglieder Zeit hatten an ihren Arbeitsgeräten zu wechseln. Neben der artrockenden Grundessenz flochten sie viele unterschiedliche Einflüsse ein, seien es folkige Klänge bei „Aeon“ oder klassische Zitate im exzentrischen „New Life“. Dies war neben „Warning“ ein Teil ihres Longtracks „Babel, zu dem ein Kurzfilm entstand und der auch in seiner Länge gefordert wurde. Ansonsten verhielt sich die Reithalle eher ruhig und ließ sich in den ambienten Sphären treiben, spendete aber dazwischen verdienten Applaus. Eingängig erwies sich lediglich „What Do You Want From Me?“, den Rest mussten sich Musiker und Fans erst erarbeiten, was sehr gut gelang, so dass man an dem Abend einige neue gewinnen konnte.

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AIRBAG
Zwanzig Minuten später ging das Licht wieder aus und langsam schälten sich vier der Musiker auf die Bühne um mit dem titelstiftenden Song der Livescheibe loszulegen. Der stieg in dem gemächlichen Tempo ein, das schon zuvor auf der Bühne herrschte. Auch hier gab man den Emotionen den Raum, den sie benötigten setzte die Töne punktgenau. Gerade Riis brillierte dabei mit einem wunderbaren Timing, wie seine rechte Hand immer wieder die Seiten hinabstieg, um Erwartungen auf den nächsten Ton zu schüren.
Asle Tostrup erschien dann auch, wobei er optisch etwas rüberkam, als wäre er gerade aufgestanden, den Chic ihres Supports hatte der Headliner nicht. Dafür noch mehr Hingabe zur Musik, einziges Showelement die Installationen auf der Leinwand, welche die Atmosphäre unterfütterten. Der Sänger umgab sich auch mit einem Arsenal an Instrumenten, die teils die der Vorband glichen, neben einem Midi hatte er eine akustische und elektrische Gitarre, dazu zwei unterschiedliche Mikrofone, je nach Position.

Stimmlich benötigte er etwas Anlaufzeit, bis sich seine wunderbare Melancholie voll entfalten konnte, sein Timbre auf der warmen Temperatur war. Wenn er in den rockigeren Parts mehr Kraft reinlegte kam das besser. Das war immer dann, wenn Bassist Oystein Slootholtet das Geschehen übernahm. Mal mit den Fingern, mal mit dem Plektrum bot er diese treibenden Läufe, die tief in der Magengrube pumpten und die Dynamik in Wallung brachten. Hochkonzentriert stand er am linken Bühnenrand, den Hals seines Instruments sehr aufrecht gehoben und schob seine Finger unaufhaltsam in die irrsten Figuren. War es bei LESOIR das Schlagzeug, das mit unterschwelligem Groove führte, so setzten AIRBAG auf die Power der dicken Saiten.

Gerade im Spiel mit den unterschiedlichen Stimmungen erwiesen sie sich als wahre Meister und ließen die Kompositionen gekonnt an – und abschwellen. Gerade Drummer Arild Broter wusste genau seine Schläge zu dosieren, zu forcieren oder zu bremsen. Wenn er dann immer hektischer reinhaute, alles um sich herum in den Sog zog, spielte sich die Band in einen Rausch. Ein Rausch der auch beim Publikum ankam, das synchron mit den Musikern in den Emotionen schwelgte. Innerhalb der Titel gab es so viele verschiedene Parts, die ineinanderlaufen gelassen wurden. Mal hauten plötzlich die sechs Saiten dazwischen, manchmal dauerte es gefühlte Ewigkeiten, bis sich die Spannung entlud, man wurde von einem Zustand in den nächsten gezogen, das Kopfkino immer in leuchtenden Farben.

Stopfte der gute Asle neben seinem ausdruckstarken Gesang viele Soundlöcher, so war es der Bandkopf, der meist im Mittelpunkt stand und die Highlights darbot. Wunderschön weich im Ton, sogar auf der Les Paul, nicht nur der Strat führt er das Erbe seines offensichtlichen Einflusses David Gilmour fort. Neben Steve Rothery und dem viel zu früh gegangenen Pjotr Grudzinski kommt er dessen Magie am nächsten, kein Wunder, dass er sogar optisch als Schnittmenge der beiden durchgehen würde. Wenn er dann da stand die Augen schloss und völlig in seinem Spiel aufging, flutete seine Leadmelodien den ganzen Raum. Die Saiten oft stark gezogen, die Töne lang mit so viel Gefühl, bis zum Ausbruch, wenn er das Instrument hochriss, zu spüren war wie er mit jeder Faser mit lebte.

Vielleicht waren die Saiten etwas zu präsent im Mix, also genau umgekehrt wie beim Vorprogramm. Dafür gingen die Beiträge von Simen Valldal Johannessen etwas unter, der zwischen flächigen Scapes und klassischer Orgel alternierte. Stets fand er die richtige Untermalung, um das Gesamtbild runder zu gestalten, die Überleitungen noch schwebender darzustellen. Björn Riis ließ sich währenddessen mehrfach dazu hinreißen ganz nach vorne zu kommen, wo ihn die ersten Reihen berühren konnten, wenn sie denn in seinen Sphären unterwegs gewesen wären, es schien als sei er anderswo hin abgehoben. Ein Klangmeer, in das man eitauchen konnte, die Stimme fast wie ein weiteres Instrument wirkte, wobei die instrumentalen Abschnitte sehr ausgiebig zelebriert wurden.

Was zur Folge hatte, dass lediglich neun Stücke zum Besten gegeben wurden, die allesamt Longtrackformat besaßen. Bloß die Zugabe dauerte eine halbe Stunde mit dem üblichen Finale vom zweiten Album. Bis auf „Disconnected“ wurde jede Langrille bedacht, wobei dies ihr straightestes Werk darstellte. Logischerweise lag der Fokus auf dem aktuellen „Century Of The Self“, gespickt mit sehr sozialkritischen wie introspektiven Lyrics. Von „The Greatest Show On Earth“ hätte ich gerne noch den Titelsong gehabt, dem ein treibenderer Song vorgezogen wurde. Nach eineinhalb Stunden war die Reise zu Ende, AIRBAG vermochten es, in eine Welt zu entführen, die wir nur in unseren Gedanken kannten. Laute Ovationen beim kleinen, aber beseelten Publikum waren der verdiente Dank.

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Setlist AIRBAG:
Dysphoria
Redemption
Tyrants & Kings
Never Coming Home
Erase
Colours
Megalomaniac
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Men And Machines
Homesick