BRUCE SPRINGSTEEN & THE E STREET BAND - The Legendary 1979 No Nukes Concerts
VÖ: 19.11.2021
(Sony Music)
Genre: Heartland Rock
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BRUCE SPRINGSTEEN
Kaum war der Vietnamkrieg beendet, sah sich die Bevölkerung der USA der nächsten Eskalation des kalten Krieges gegenüber, der atomaren Aufrüstung. Um dagegen zu demonstrieren organisierten Bonnie Raitt, Graham Nash, John Hall und Jackson Browne vom 19. - 23. September 1979 die MUSE Benefit-No Nukes-Konzerte im New Yorker Madison Square Garden. Für solche Auftritte war BRUCE SPRINGSTEEN schon immer der richtige Mann, der sich die Chance gerade zu der Karrierephase nicht nehmen ließ. Die Aufnahmen seiner Auftritte kommen jetzt endlich in die Läden.
Gerade hatte er es geschafft „Born To Run“ mit „Darkness On The Edge Of Town“ einen ebenbürtigen Nachfolger zu bieten und war damit um den Globus getourt. Diese beiden überragenden Scheiben ließen ihn kurz vor dem Superstarstatus stehen, als er sich da die Bühne mit anderen Größen teilte. Die Gigs markierten den Übergang von den Frühzeiten zum Stadionact, den man hier gut ablesen kann.
Nein, Springsteen ist noch nicht der überlebensgroße Entertainer, dem das Publikum aus der Hand frisst, er pflegt hier noch seine Arbeiterwurzeln, obwohl schon die Ansätze zu erkennen sind, was ihn später ausmachte. Noch sitzen die großen, erhabenen Gesten nicht richtig, noch hat er nicht die Selbstsicherheit späterer Tage, die sich erst mit dem Selbstverständnis des Erfolges einstellte.
Der Boss ist dafür unglaublich agil, fast scheint es, er wisse gar nicht wohin mit seiner Energie. Sein Oberkörper wackelt in jeder Sekunde aufgeregt hin und her hin und her, er schleudert die Beide nach rechts und links weg und kann nie stillstehen. Dazu vollführt er Luftsprünge und geht auch mal frontal auf das Publikum zu.
Doch flirtet er noch nicht so offensiv mit ihm wie später, aber die Scheu, die noch bei „Live In Hammersmith 1975“ zu sehen war ist gewichen. Viele kleine Verrücktheiten hat er aber damals schon gebracht wie das lapidare Wegwerfen allerhand Gegenstände, und sei es ein aus dem Publikum gereichter Kuchen. Und wie er bei seinen Läufen über die Bühne mit der Hüfte über das Piano rutscht, um anschließend weiter zu sprinten ist schierer Wahnsinn.
Sein Arbeitsgerät hält er dabei fest in der Hand, während er es öfter mal hinter sich baumeln lässt, wenn er sich auf seinen Gesang konzentriert. Ein Gestus, der heute ikonisch für den letzten echten Rockstar ist. Legt er den Telecaster aber ganz zur Seite und klammert sich an das Mikrofon, dessen Ständer ein Stückchen neben ihm fußt hat das was von seinem Vorbild Elvis.
Natürlich reißt da seine Mitmusiker mit, die ihm auch mal hinter das Schlagzeug folgen oder nach ganz vorne zur Formation. Hier tu sich besonders Clarence Clemons mit seinem Saxofon und Stratocaster-Mann Steve Van Zandt hervor. Gerade mit dem „Bigman“ und dem anderen gefallenen Bruder Danny Federici an der Orgel ist das ein schönes Wiedersehen. Gemeinsam spielt sich das Ensemble im Laufe des Konzertes in einen absoluten Rausch, führt irre Tänze auf der Bühne auf und agiert immer wilder und ausgelassener.
Das gilt auch für den musikalischen Beitrag, der noch viel roher und ungeschliffener ist als sich die E STREET BAND heute präsentiert. Vom dichten Sound ist man noch ein wenig entfernt, stattdessen herrscht eine unfassbare Energie vor, alle Titel werden ein bisschen schneller gezockt, niemand kann sie bremsen. Max Weinberg drischt auf sein Kit ein, als gäbe es kein Morgen. Da blieben zwar die Fills etwas auf der Strecke mit denen er bei vielen Übergängen die Soundlöcher stopft. Dafür erscheinen dann die Soli, egal mit welchem Instrument noch explosiver und spontaner.
Das Set der konzentrierten neunzig Minuten besteht vor alle aus Liedern jener beiden Überalben, wobei man von „Born To Run mit „Thunder Road“ und „Jungleland“ beide monumentalen Epen bringt, welche den Mann am Saxofon so glänzen lassen. Interessanterweise gibt es zwei Ausblicke auf das kommende Album, darunter den Titeltrack, des erklärte Lieblingslied es Autors. „The River“ wirkt aber auch hier noch etwas unbehauener, am Ende erklingt nur ein Piano und nicht diese warme Klangwand und auch im Text würde später etwas nachgebessert.
Am Ende regiert dann der pure Spaß, da sind die Musiker ganz in ihrem Element, können ungezwungen improvisieren. Zuerst lassen sie es locker angehen, unter Mithilfe von Jackson Browne, Tom Petty und Rosemary Butler wird der Doo-Wop-Evergree „Stay“ zelebriert. Dann wird beim „Detroit Medley“ unter anderem mit „Good Golly Miss Molly“ ein weiteres Feuerwerk abgebrannt, an das sich noch „Quarter To Three“ von GARY U.S. BONDS angehängt wird, das damals Standardprogramm war.
Technisch kann der Betrachter trotz der gekonnten Bearbeitung von Thom Zimny und Mischer-Koryphäe Bob Clearmountain keine Wunder erwarten. Manches geht im Sound etwas unter, besonders die Tasten sind unterpräsentiert. Das schon sehr tighte Spiel schält sich aber doch heraus, vielleicht gerade weil der Sounddruck nicht der höchste ist.
Beim Licht gibt es wenig Überblendungen, die Reihenbatterien dieser Zeit warfen keine so massive Lichtflächen. Dafür hatten sie den eigentümlichen Effekt, dass sich manchmal Ringe um das Bild bildeten, die bei den Close-Ups Details heraus zeichnen. Wie die Windmühle von Springsteen in einem Augenblick eingefangen wurde ist genial.
Selbst bei den weniger guten Bedingungen vor vierzig Jahren konnten gute Kameraleute immer noch vieles einfangen, wenn sei das Gespür dafür hatten. Auf „The Legendary No Nukes Concerts 1979“ sind sie immer nah am Geschehen und vermitteln einen tollen Eindruck jener Karrierephase. Die Zukunft des Rock´n´Roll hatte da schon längst begonnen.
8,5/10