BETH HART - You Still Got Me

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VÖ: 25.10.2024
(Provogue/Mascot)

Genre: Blues/Soul

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BETH HART

Mit „Leave The Light On“ hatte sie früh in ihrer Karriere einen Hit, wurde im Kanon mit den weiblichen Superstars der Neunziger genannt und war bei einem Major unter Vertrag. Doch ihre inneren Dämonen und Suchtprobleme machten ihr oft einen Strich durch die Rechnung. Joe Bonamassa holte für einige gemeinsame Alben wieder zurück aus der Versenkung, seitdem geht es mit ihrer Karriere steil bergauf. Wie auf der Branchenführer braucht BETH HART das Airplay und die Unterstützung eines großen Labels nicht mehr, sondern punktet mit ihren intensiven Liveauftritten und hoher Qualität. Sieht man von „A Tribute To LED ZEPELLIN“ ab, dauerte es pandemiebedingt fünf Jahre bis zu „You Still Got Me“.

Das Warten hat sich definitiv gelohnt, alles wirkt sehr inspiriert und gleichsam ausgefeilt und perfekt eingespielt. Dabei ist die Dame im Gegensatz zu Joanna Shaw Taylor, Ana Popovic oder Samantha Fish keine Gitarristin, sondern komponiert lieber am Klavier, was man den Liedern durchaus anhört. Gerne begleitet sie sich an ihrem Instrument, um die Emotionen noch tiefer zu fühlen, welche Produzent Kevin Shirley genial eingefangen hat. Für die sechs Saiten hat sie sich prominente Unterstützung ins Boot geholt, die den rockigen Auftakt der Scheibe prägen.

Niemand Geringeres als Slash liefert die schwerfälligen Riffs, welche die hämmernden Pianotöne des Openers „Saviour With A Razor“ umschmeicheln. Die Gangart offenbart ein enormes Pathos, Hart schraubt sich im Chorus nach oben, ein paar Orchestrierungen machen alles noch opulenter und die schreienden Leads setzen dem Ganzen die Krone auf. Mit Eric Gales hat sie sich einen Blueser ihrer Generation für das folgende „Suga N My Bowl“ ins Boot geholt. Dessen Hendrix-Vibes harmonieren wunderbar mit der leicht funkigen Gangart , wobei die Orgel von Kevin McKendree alles erdet.

Das Tempo bleibt weiter hoch, doch der stilistische Schwenk könnte nicht größer sein, denn plötzlich packt die gute Beth tiefes Jazz-Verständnis aus. Mit „Never Underestimate A Gal“ gelingt ihr ein Bossa, der eine ungeheure Lebensfreue versprüht und sehr tanzbar daher kommt. Die clean gepickten Gitarren jagen das flotte Piano, das kontert die Künstlerin mit einer sehr tiefen Stimme. Die völlig andere Ausprägung kommt wieder nur einen Song später, vom Tanzsaal geht es runter an die Bar. „Drunk On Valentine“ ist eine schwelgerische Ballade in der Bläser sowie Streicher leise das Klavier tragen.

Es ist wirklich ihr Instrument, mit welchem sie sich am besten ausdrücken kann, speziell wenn sie es melodischer angehen lässt. Bevor sie bei „Wonderful World“ beherzt in die Tasten haut meldet sich erst einmal die Akustische zu Wort, ihre Anschläge folgen ihren stimmlichen Ausbrüchen wie ein Schatten, was eine unglaubliche Magie entfacht. Und wer meint da oben wäre sie auf dem Höhepunkt angelangt, der komm bei „Little Heartbreak Girl“ erst die volle Ladung Herzschmerz.
Piano und bluesige Licks holen beim beschwingten Intro aus, bevor die Dynamik in sich zusammen fällt und es Lichtjahre bis zum nächsten Ton dauert. Mit der Bridge baut sich die Spannung wieder auf, die sich nun vollends entlädt, Backgroundchöre und der entfesselte wie wunderschöne Gesang spielen sich die Bälle traumhaft zu. Die Seele liegt komplett offen, die Augen des Hörers werden feucht, die Nummer berührt ganz innen mit ihrer kämpferischen Attitüde.

Fast noch mehr Gefühl legt sie in die Liebeserklärung an ihren Mann mit dem Titelsong. So geigenverhangen wie ein Himmel nur sein kann besingt sie selbigen und geht komplett in der Stimmung auf. Hier lässt das dynamische Klangbild Erinnerungen an den ganz klassischen Soul der Sixties aufkommen. Nicht die einzige Nummer der Scheibe, die das Zeug zu einem James Bond-Song hätte, unter anderem „Don´t Call The Police“, das krasse Gegenteil zum Lovesong.
Vom Mord an George Floyd inspiriert, spürt man im Flüstern und Flehen der Strophe die Angst und Bedrohung die von der Situation ausging. Unfassbar wie BETH HART dies so authentisch rüber zu bringen vermag, wie sie aus Zuschauersicht alles reinwirft. Im Refrain explodiert sie, malträtiert den Flügel zu aufbrausenden düsteren Riffs und schreit die Wut hinaus. So hörbar wurde Schmerz seit „Diary Of A Workingman“ von BLACKFOOT nicht mehr vertont.

Doch „You Still Got Me“ hat noch mehr zu bieten, „Wanna Be Big Bad Johnny Cash“ wandelt auf den Spuren des Man In Black. So zielsicher wie sie sich durch Mollballaden, große Hymnen, ergreifende Rocker und jazzige Gefilde bewegt, macht sie auch auf dem Countryparkett eine tolle Figur. Coole semiakustische Gitarren im Grundthema und dem Solo und eine vergleichsweise lockere Atmosphäre liefern einen schönen Kontrast.
Aus dem Umfeld von Shirley/Bonamassa stammende Topmusiker wie die Rhythmusfraktion aus Steve Mackey und Greg Morrow dosieren jeden Ton optimal, hier stimmt einfach alles, sogar die Illustrationen im Booklet zu den einzelnen Stücken. Ein vielschichtiges Werk, dass dem Genre neue Wege aufzeigt mit einer manischen Performerin zwischen Feeling und Furor, die alle Facetten ihrer stimmlichen Klasse auslotet.

9 / 10