NIGHTWISH - Yesterwynde

09 nightswish

VÖ: 20.09.2024
(Nuclear Blast)

Genre: Symphonic Metal

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NIGHTWISH

Neue Alben der Finnen brauchen immer lange Zeit, da die Produktionen immer aufwändiger werden, ähnliches kennt man ja von BLIND GUARDIAN. Die letzten viereinhalb Jahre waren zudem geprägt von Soloausflügen, der Pandemie und dem Abschied von Bassist und Sänger Marco Hietala. Nach all den Irrungen fanden NIGHTWISH sich Ende 2022 zusammen und nahm den dritten Teil einer Trilogie in Angriff, deren existenzielle Themen ebenso ambitioniert sind wie die Musik. Kann sich „Yesterwynde“ dennoch von seinen Vorgängern emanzipieren und neue Aspekte bringen?

Natürlich fällt der Abschied des bisherigen männlichen Vokalisten am stärksten ins Gewicht, bis auf ein paar Backgroundchöre von Dudelsackspieler Troy Donockley liegt der Gesang ganz in der Hand von Flor Jansen. Jener übernimmt zwar auf der Bühne die Parts von Hietala, wurde aber nicht als neuer Leadsänger etabliert. Zudem wurden auch die Chöre etwas zurück geschraubt, nicht in der Häufigkeit, jedoch in der Dominanz und werden hier mehr als Untermalung benutzt.
Generell setzt man bei nunmehr zehnten Langspieler weniger auf schiere Wucht, die ja auf „Human:II:Nature“ mit einer orchestralen Bonus-Disc unterstrichen wurde. Vielmehr wird hier mit der Dynamik gespielt, gestaltet manches Arrangement explosiver. Gerne wird auch die Atmosphäre anschwellen gelassen, in Lauerstellung gehalten, ohne sie ausbrechen zu lassen, was die Spannung zusätzlich erhöht.

Nach dem titelgebenden Intro, bei dem sich die Scheibe auf dem Cover zu drehen beginnt, während sie mit den letzten Klängen ausdreht, fahren NIGHTWISH bei „An Ocean Of Strange Islands“ alles auf, was in ihrem Kosmos zu finden ist. Aus verhallten Klängen schieben Riffs heran, die sich mit dem Orchester um die Vorherrschaft duellieren, Jansen wirkt gehetzt, den Harmonien kann man erst nur schwerlich folgen, es benötigt einige Durchläufe um die Komplexität zu erfassen. Bombastisch geht es weiter, auch wenn sich der Song später etwas zurück nimmt, um dann eher im schwermütigen Tempo weiter zu machen.

Perfekte Arrangierkunst liefert dann „The Antikythera Mechanism“, welches sehr düster beginnt und sich eher schleppend voran bewegt. Wie dann der Chorus explodiert, er akzentuiert wird ist ganz großes Kino in einer ohnehin cineastischen Umgebung, das gesamte Instrumentarium spielt wunderbar um die gute Floor herum. Von derart hoher Kunst ist auf der Länge noch „Perfume Of The Timeless“, wo die Sackpfeife des britischen Bandmitglieds große Harmonien hervor bringt und endlose Weiten evoziert. Der Refrain hingegen stampft von Vuorinens sechs Saiten unterstützt, bevor der Mann noch bissiger attackieren darf.

Allerdings steht er noch weniger im Mittelpunkt als zuletzt, was bei einer Band, die grob dem Genre Metal zuzurechnen ist einige Fans irritieren könnte. Jedoch ist Songschreiber Tuomas Holopainen dem Genre längst entwachsen, oder soll ich ihn besser als Komponisten bezeichnen? „The Children Of `Ata“ bringt die Gitarre noch einmal auf die Landkarte, wobei hier die Synthesizer dominieren, und auch das Stück ruhig beginnt. Später jagt ihr bretterndes Riff die Streicher und Beats durch den Chorus und weckt Erinnerungen an „I Wish I Had An Angel“. Überhaupt bedient man sich hier noch mehr Stilmitteln, „The Day Of…“ bringt zu den elektronischen Elementen noch einen Kinderchor.

Gerade weiter hinten befinden sich die Nummern, die ruhig beginnen, um dann bedächtig anzusteigen. „Hiraeth“ wirkt am vollendesten, die Akustikgitarre wird ausgepackt und Donockley begleitet Jansen. In der Art funktioniert auch „Sway“, welches in dem Tempo bleibt und sich an „The Islander“ orientiert. Bei besagtem Lied hingegen nehmen erst Gitarre und Dudelsack Fahrt auf, dann das Orchester, um ein grandioses Finale einzuläuten.
Im Anschluss übernehmen die Streicher und Bläser „The Weave“ fast komplett und knüpfen an die angesprochene Zusatzscheibe des Vorgängers an. Dass sich noch metallische Weisen dazu gesellen, erhöht eher deren Druck, statt ihn rauszunehmen, und dennoch fehlt der ganz große Ausbruch. Den gibt es auch in der abschließenden Pianoballade „Lanternlight“ nicht, die sich überraschend zurück hält und nur ein paar Streicher auffährt, zu denen die Frontfrau gefühlvoll intoniert.

NIGHTWISH gehen ihren Weg unbeirrt weiter und spielen komplett eine ganze Hand künstlerischer Karten aus. Nachahmer gibt es in dem Metier genügend, doch die Truppe hat es sich längst in einer anderen Liga bequem gemacht. Zugänglich war keines der Werke mit ihrer niederländischen Sängerin, man muss sich darauf einlassen. Vom Spaßfaktor her ist auf „Imagenaerum“ zurück zu greifen, aber den Anspruch hat Holopainen schon lange nicht mehr. Er folgt seiner Vision, die er bis ins kleinste Detail ausfeilt, Details die teilweise überfordern, dann wieder für unfassbare Momente sorgen, letztere überwiegen auf „Yesterwynde“ wieder mehr.

8 / 10