DAVID GILMOUR - Luck And Strange

09 davidgilmour

VÖ: 06.09.2024
(Sony Music)

Genre: Art Rock

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DAVID GILMOUR

Eigentlich hatte sich der frühere PINK FLOYD-Gitarrist schon auf sein Altenteil zurück gezogen und beobachtete die Welt von seinem Hausboot „Astoria“ auf der Themse aus. Aufhorchen ließ ihn der Krieg in der Ukraine, die Benefiz-Single „Hey Hey Rise Up“ mit seiner alten Formation war die Initialzündung seinen Stratocaster wieder in die Hand zu nehmen. Seinem Vernehmen nach soll noch weiteres Material in den fünf Monaten entstanden sein, in denen an „Luck And Strange“ gearbeitet wurde. Verständlich dass die Zeit nicht für einen 78-jährigen spielt, deswegen brennt DAVID GILMOUR vor Eifer, eine Tour ist ebenso angekündigt. Es ist ja erst sein fünftes Soloalbum, das letzte „Rattle That Lock“ liegt auch schon neun Jahre zurück.

Verlernt hat der Barde nichts, sofort ist im Intro „Black Cat“ sein Gitarrenspiel heraus zu hören, wunderbar weiche Töne legen sich über dezente Klaviertöne, typsicher könnte ein Werk nicht beginnen. Momente, die sich im Titeltrack anschließend fortsetzen, die eingestreuten Licks tragen diese ummantelnde Wärme, dieses phantastische Feeling in sich. Dabei basiert die Nummer auf einer Jamsession aus dem Jahre 2007, den letzten Aufnahmen mit seinem Freund Richard Wright.
Jener ist an der Orgel zu hören, die sich in stoischen Harmonien mit den sechs Saiten durch den Song zieht. Am Ende spendiert uns Gilmour noch die originalen Recordings als Bonus, bei denen die beiden mit der Band über 14 Minuten auf einem einzigen Riff herum experimentieren. Stets im Fluss nur mit leichten Variationen auf der Suche nach dem idealen Arrangement ist es der Bass, der bis auf einige Ausflüge sein Schema durchzieht und damit noch mehr Tiefe rein bringt.

Was sich etwas nach Blues anhört, ist tatsächlich sehr nahe dran, der schon immer ein großer stilistischer Einfluss. Später unter dem Trademarksound etwas versteckt schält er sich hier deutlicher heraus und prägt den neuen Longplayer. Das liegt auch an der erdigen Produktion, die der Meister gemeinsam mit Charlie Andrew gezaubert hat. In den Sinn kommen einen da die Siebziger, teilweise noch vor „The Dark Side Of The Moon“, was das titelstiftende Stück unterstreicht. Selbst bei den Akustikklängen hat der kräftigere Anschlag mehr Volumen, die Instrumente bekommen viel Raum zur Entfaltung ihres ureigenen Klangs. Teilweise tönt es eher rudimentär, die Arrangements sind weniger auf Effekt ausgelegt, sondern lassen Luft zum Atmen.

Ein Hochglanzprodukt wie die späten PINK FLOYD ist „Luck And Strange“ auf keinen Fall, eher schon britisches Understatement. Bei den Aufnahmen war seine Partnerin Polly Samson und einige ihrer Kinder involviert, und ein wenig erinnert das an eine lockere Familienunternehmung. Der zweite Bonustrack „Yes, I Have Ghosts“ hat etwas von einem Vater, der am Lagerfeuer mit seiner Tochter die Klampfe auspackt. Vieles wirkt nicht so auskomponiert wie gewohnt, streckenweise hören die Nummern einfach auf, wo man noch etwas mehr erwartet hätte, das Spiel ist nicht bis zur Perfektion ausgereizt. Eine gewisse Lässigkeit macht sich breit, die jedoch nie Gefahr läuft fahrig oder beliebig zu werden, Gilmour konzentriert sich auf das Wesentliche, beweisen muss er niemanden mehr etwas.

Weit von dem was ihn in den letzten fünfzig Jahren ausmachte bewegt sich der Pate des Art Rock nicht. Nach wie vor baut er viele unnachahmliche Leads ein, lässt in den einnehmenden Refrains die Chöre erheben, malt wunderbare Klanglandschaften, wenn auch die Mittel einfacher geworden sind, die Farbpalette nicht so knallig bunt. Nur selten verlässt er sein Hoheitsgebiet, wie etwa beim Cover der MONTGOLFIER BROTHERS „Between Two Points“, von seiner Tochter Romany gesungen erinnert das Lied an „A Natural Disaster“ von ANATHEMA.
Jene waren wiederum massiv von PINK FLOYD beeinflusst, womit sich ein Kreis schließt, in welchem dem Hörer vor Augen geführt wird, wie gut das Genre auch mit weiblichen Stimmen funktioniert. Dem steht das dynamische „Dark And Velvet Nights“ entgegen, das für die Verhältnisse treibend zu Werke geht. Die Orgel darf röhren, der Rhythmus pumpen, die Stimmung etwas düsterer, verwegener sein. Die Erde hat ihn wieder, wenn die Bridge das drückende Element auflöst und getragenen Sphären Platz macht.

Und dann ist da am Ende „Scattered“, das Meisterstück des Albums, wo DAVID GILMOUR noch einmal alle Register zieht. Das elektrische Piano blubbert psychedelisch über schwebende Synthesizer, die Echos erzeugen eine Tiefe, die kaum auszuloten ist. In der zweiten Strophe gesellt sich ein Akustikthema dazu, bevor alles anschwillt, man sich ein Orchester gönnt, während das Pianocrescendo lieber in der Bar sitzen bleiben würde. Wenn die Stromlose wieder ins Geschehen eingreift, artikuliert sie sich eindringlicher und ebnet den Weg für elektrifizierte Solokunst. Da ist genau was man sich erhofft oder erträumt hatte, die Töne werden lang gezogen, unendlich lang, die Bünde glühen und seinen gleitenden Fingern.

So langsam erhebt sich der Raum und steigt hinauf, immer weiter, während die Streicher sanft darunter liegen, und man sich fragt, warum man den Effekt nicht schon früher genutzt hat. Der Hörer taucht vollkommen ein in den Künstler, nachdem er Zeuge von seinem sicherlich persönlichsten Werk wurde. Maßgebend ist der intime Rahmen, mit dem der Meister überrascht, nicht nur wegen seiner mittlerweile etwas brüchigen Stimme wirkt er verletzlich wie nie. Selbst wenn weitere Wundertaten dieser Größe ausbleiben, „Luck And Strange“ kein absoluter Überflieger ist, bekommt man doch was man erwarten durfte, zumal die Messlatte hier schon verdammt hoch aufgelegt wurde.

8,5/10