PORCUPINE TREE - Closure/Continuation
VÖ: 24.06.2022
(Music For Nations/Sony)
Genre: New Art Rock
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PORCUPINE TREE
Das Comeback des Jahres! Als Ende letzten Jahres die New Art Rockheroen ein neues Album und eine Tour bekannt gab, horchte die Musikwelt auf. Auch beflügelt durch die Solokarriere von Mastermind Steven Wilson wurde die Band größer und einflussreicher als zu ihren Zeiten. Dabei wurden sämtliche Gerüchte um eine Reunion stets dementiert, was sich heute anders anhört. Seit 2012 hätten Wilson und Drummer Gavin Harrison, später auch Keyboarder Richard Barbieri an „Closure/Continuation“ gearbeitet. Inwiefern es damit zu tun hat, dass die Solokarriere bei den letzten Scheiben einen Knick bekam, lässt sich nur mutmaßen. Fest steht, dass Colin Edwin nicht mehr an Bord ist, den Bass hat der Gitarrist und Sänger ebenfalls eingespielt.
Was sich in der Ausrichtung des Comebackwerkes deutlich niederschlägt, denn Wilson bearbeitet die vier Saiten melodiöser, nicht so auf Atmosphäre bedacht. Im Zusammenspiel mit den proggigen Läufen hatte Edwin die Musik stets geerdet, schon das einleitende Motiv von „Harridan“ wirkt sehr hektisch. Als Gegenpol ist der Gesang eher zurückhaltend und deutlich verzerrt, während auch das Schlagzeugspiel von Breaks durchfurcht ist. Im flirrenden Refrain setzt sich die unverfälschte Stimme durch, Harrison lässt die Becken rasseln. Aus dem Nichts bricht ein tiefes Metalriff los, welches sich mit psychedelischen Welten abwechselt, bevor sehr ruhige Töne angeschlagen werden.
Ähnlich von Gegensätzen geprägt ist „Herd Culling“, in welchem der Bass auch wieder eine Rolle spielt, indem er über Synthieschleier tänzelt. Wie überfallen fühlt sich der Hörer im Refrain von dem bretternden Riff und der einsilbigen Anklage. Auch hier wird noch weiter das Tempo heraus genommen, die feine Psychedelic führt die Fans zurück zu „In Absentia“-Zeiten. Wenn man das Gefühl hat, der Song fade langsam aus, hauen einem PORCUPINE TREE noch mal den Chorus um die Ohren.
„Rats Return“ beginnt direkt mit progressiven Riffattacken, nimmt anschließend das Tempo heraus um einer gespenstische Atmosphäre Platz zu schaffen. Ständig schwirren einem Klangwolken aus den Tasten von Barbieri um die Ohren, hüllen einen ein. Hier macht sich der größere Input des früheren JAPAN-Mannes bemerkbar, einiges erinnert an seine letzten Soloalben. Wo früher warme Flächen schwebten herrscht heute eine Kühle, die das gesamte Werk beherrscht. Interessant wie beide Welten gegen Ende der Nummer immer mehr ineinander fließen.
Am deutlichsten von der Elektronik geprägt dürfte „Walk The Plank“ sein, bei dem Beats und Sounds vorherrschen. Allerdings halten sich die Arrangements stark zurück und erlauben so mehr sphärische Stimmungen. Im Refrain tupft Barbieri das Piano rein, während Wilson ein markantes Bassmotiv einbringt. Überhaupt geht die klare melodische Linie dem Album eher ab, Klangwelten stehen im Vordergrund. Was auch daher rührt, dass es der demokratischste Kreativprozess in der Bandgeschichte war, und der Singer/Songwriter-Ansatz von Wilson dominierte.
Was ihm entgegen gekommen sein dürfte, hat er sich solo auf den letzten Platten verstärkt mit Elektronik beschäftigt. Einzig die Ballade „Of The New Day“ ist typisches Futter für die Fans mit seinen betörenden Melodien. Sanfte Momente findet man zwar genug, aber eben mit dieser gespenstischen Kühle und viel Zierrat. Vor allem „Chimeras Wreck“ am Ende, wo sich die leise Orgel immer weiter in proggige Gefilde steigert und am Ende auch der Gesang das Staccato der Gitarren übernimmt.
War die Band nach „The Incident“ der Meinung sich zu wiederholen, so geht sie hier klar einen Schritt weiter, nimmt moderne Ideen auf. Nach wie vor sind sie aber immer noch klar zu identifizieren, wenn ich auch die Melodiefülle vermisse. Aber PORCUPINE TREE zogen es vor, spannend zu bleiben und suche die Spannungen oft in Dissonanzen. Wer eher den alten Zeiten nachhängt dürfte bei den Bonustracks fündig werden, die luftiger klingen. „Love In The Past Tense“ bietet flirrenden Folk, Motive die mal elektrisch, mal akustisch daher kommen, Satzgesang und schwebende Synthesizer. Fast als wollen man der Legende YES huldigen, während das Instrumental „Population Three“ kraftvolle weite Flächen dazu addiert.
„Closure/Continuation“ ist der erwartet schwierige Longplayer geworden, aufgrund der langen Zeit, die daran gearbeitet wurde ist nicht alles kohärent. Man muss abwarten, wie sich die Dinge entwickeln, ob hier viel experimentiert wurde oder Wilson seinen Zenit überschritten hat. Langzeitwirkung ist auf alle Fälle garantiert, nicht alles kann direkt erfasst werden und benötigt Zeit. Was sich sicher nicht geändert hat, ist die Klasse, mit der diese Kompositionen eingespielt wurden, hier sind drei absolute Ausnahmekönner am Werk, die jeden Ton perfekt zu setzen wissen, die immer mit Wendungen aufwarten. Wer könnte so etwas besser in Szene setzen als ein als Klangmagier gefragter Bandkopf? Ich hoffe auf mehr!
8,5 / 10